Ist unsere Identität nur die Summe unserer Gewohnheiten?
Gewohnheiten prägen unser Leben: Sie entscheiden wie unsere Routine am Morgen aussieht, ob wir Sport treiben, wann wir zu Bett gehen – einige sind sinnvoll, andere unnütz und manche sogar skurril. Oft wird sogar behauptet, dass unsere Identität im Grunde nichts anderes sei als die Summe unserer Gewohnheiten. Ist dem wirklich so? Gibt es wissenschaftliche Beweise hierfür?
Mich persönlich interessieren diese Fragen brennend, weshalb ich Nachforschungen in den entsprechenden Forschungsgebieten getätigt und verschiedene Publikationen zu empirischen Untersuchen gefunden habe, die sich gezielt mit der Frage des Zusammenhangs zwischen Identität und Gewohnheit auseinandersetzen.1
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse:
- Unsere Gewohnheiten sind nicht zwingend mit unserer Identität verknüpft. Insbesondere wenn es sich dabei um Gewohnheiten handelt, wie z.B. an seinen Fingernägeln zu kauen.
- Menschen unterscheiden sich darin, welche Gewohnheiten sie entwickeln, und somit darin, welche Gewohnheiten, wenn überhaupt, einen Teil ihrer Identität ausmachen.
- Auch nicht-gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen können Teil der Identität eines Menschen sein. Zum Beispiel wenn, jemand ausgesprochen gerne reist und neue Länder entdeckt, dies aber nur sporadisch tut.
- Aus Gewohnheiten abgeleitete Identitätsgefühle werden mit kognitiven, impulsartigen und motivierenden Facetten des Selbst in Verbindung gebracht. Wer regelmässig Sport treibt, wird sich als sportlicher Mensch sehen.
- Einige Gewohnheiten sind eindeutiger mit Identitätsgefühlen verbunden als andere. Insbesondere solche Gewohnheiten, die Ausdruck dauerhafter Ziele oder Werte sind. Beispiele hierzu sind «regelmässig zu trainieren» oder «keinen Alkohol zu trinken».
- Personen, bei denen Gewohnheiten stark mit Identitätsgefühlen verbunden sind, haben eine stärkere kognitive Unabhängigkeit, ein höheres Selbstwertgefühl und ein stärkeres Streben nach einem idealen Selbst. Beispiele hierfür sind das regelmässige Lesen einer Tageszeitung oder das wiederkehrende Teilnehmen an Weiterbildungsveranstaltungen.
- Das eigene Selbst funktioniert als »individuelles Gravitationszentrum«, das kognitive, affektive, motivationale und verhaltensbezogene Facetten umfasst. Die Stärke dieser »Gravitationskraft« ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Für einige scheint das Selbst eine relativ locker zusammengesetzte Struktur zu haben, während es für andere eine viel stärkere Kohärenz aufweist. Bei der letztgenannten Art von Personen spielen Gewohnheiten eine Rolle in dieser Struktur und machen somit einen Teil der Identität aus.
Wer bin ich?
Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass es wie so oft keine eindeutige Kausalbeziehung zwischen zwei Bezugsgrössen – hier Gewohnheit und Identität – gibt. Dennoch besteht bei den meisten Menschen ein klarer Zusammenhang zwischen ihren Gewohnheiten und ihrer Identität. Mit diesem Wissen im Hinterkopf lohnt es in jedem Fall, sich bewusst mit den Fragen: »Wer bin ich?«, »Wer möchte ich sein?« und »Welche Gewohnheiten muss ich mir hierfür aneignen oder ablegen?« auseinanderzusetzen und zu reflektieren.
Für Sie als Führungskraft spielt das auch im beruflichen Kontext eine Rolle. Fragen Sie sich: »Wie möchten ich als Führungskraft sein?« Eine Analyse der täglichen Gewohnheiten im geschäftlichen Wirken ist hier oftmals ein erster Meilenstein zur Weiterentwicklung. Sehr gerne stehe ich Ihnen auf diesem Weg als Coach und Sparringspartner zur Verfügung, um die Effektivität und Effizienz ihres Führungsverhaltens durch neue Gewohnheiten zu steigern.
1 z.B. Bas Verplanken, Jie Su: Habit and Identity – Behavioral, Cognitive, Affective, and Motivational Facets of an Integrated Self; Frontiers in Psychology 2019.